ASS! of BIKE Sample

Publisher: CatMint Publishing
Page count: 144, with illustrations
Price (with jacket): 14,00 €
ISBN: 978-3-903282-01-8
Bananen schmeckten am besten, wenn sie gelb waren. Nicht grün oder braun oder tiefgelb, sondern gerade erst gelb geworden, sodass man einen Widerstand verspürte, wenn man seine Zähne in ihnen versank und sie mit den Lippen umschloss. Bananen, das wusste Olav, waren besser als große Melonen oder knackige Äpfel, an denen man sich die Zähne ausbiss und die einem bisweilen Bauchschmerzen bereiteten. Am besten waren Bananen im Rahmen eines ausgewogenen Frühstücks, bei dem auch Eier nicht fehlen durften.
Und damit war keinesfalls etwas Anrüchiges gemeint, sondern lediglich ein ganzer Tisch voller Vollkornbrötchen, Müsli, Smoothies und Nudeln, die innerhalb kürzester Zeit den Weg in seinen Bauch finden mussten, bevor es anschließend noch zwei Tassen Kaffee und Obst gab.
Denn Olav war nämlich etwas speziell … Olav war Rennradfahrer. Und nicht nur irgendeiner. Spätestens seit seinem spektakulären Ausscheiden bei der Tour de France im letzten Sommer erinnerte sich jeder, selbst wenn er nur beiläufig Profiradsport in den Medien verfolgte, an seinen Namen.
Olav, die große Hoffnung aus Dänemark. Olav, der Sprint-Star der Viking Spades. Olav, der Allrounder, der selbst den höchsten Gipfel bezwingen konnte, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Ein abgeklärter Stratege und dabei doch ein bodenständiger junger Mann, der in einem Dorf an der deutschen Grenze geboren worden war und nichts mehr liebte als die Zimtschnecken seiner Mutter.
Zumindest stand das so in den Zeitungen und auf den Social-Media-Kanälen im Internet. Was aber keiner wusste: in Olavs Leben gab es etwas, das er noch mehr liebte als Zimtschnecken. Etwas viel Köstlicheres, dessen Anblick ihn in schiere Verzückung brachte und der eigentliche Grund war, warum er sich seit Jahren immer wieder zu Höchstleistungen im Radsport abmühte:
Männerhintern.
Er liebte durchtrainierte Gesäße, die sich aus dem Fahrradsattel erhoben, bereit, den letzten Saft aus ihren wie wild in die Pedale tretenden Besitzern herauszupressen. Er liebte den Anblick tiefschnaubender Gesichter, in denen sich der erbitterte Kampf um jeden Zentimeter zeigte, Gesichter, die hochrot waren und denen der Schweiß vom Kinn tropfte. Und er liebte den Siegesjubel bei der Zieleinfahrt, den Chor aus tausend Zuschauerstimmen, der all die Anstrengung wegblies und jeden Fahrer in einen fast schon post-koitalen Zustand tiefer Befriedigung versetzte.
Ja, Radsport war Sex pur … wenn man einmal davon absah, dass man nach Hunderten von Kilometern im Sattel einen derart wunden Arsch hatte, dass man sowieso keinen Sex mehr haben konnte. Und nein, das Gerücht, dass alle Radsportler impotent waren, konnte Olav nicht bestätigen, denn zumindest bei ihm schien alles in Ordnung zu sein. Sein kleiner Freund hatte ihn während der Erholungsphase nach einem Rennen noch nie im Stich gelassen. Besonders im letzten Sommer, als er nach einem Massensturz aussetzen musste, war er munter wie eh und je gewesen und hatte für die nötige Ablenkung gesorgt. Das allerdings nur mit der linken Hand, denn Olav hatte sich bei seinem Unfall dummerweise einen Trümmerbruch im rechten Ellenbogen zugezogen. Als wäre dies nicht schon ärgerlich genug gewesen, hatte er außerdem eine Gehirnerschütterung erlitten, die sein Gedächtnis beeinträchtigt hatte. Er konnte sich daran erinnern, wie er auf der Tour de France in der Normandie gegen den Fahrtwind gekämpft hatte und dennoch als einer der Ersten über die Ziellinie gesprintet war. Er wusste, wie er die erste Mittelgebirgsetappe mit seinen Freunden Haakon und Morten überstanden hatte, die wie er seit mehreren Jahren bei einem skandinavischen Radteam namens Viking Spades unter Vertrag standen. Doch alles, was über die groben Umstände der Rennen hinausging, war so dumpf wie der Kopfschmerz, der hin und wieder hinter seiner linken Schläfe pochte. Er konnte nicht sagen, was er abends nach den Etappen gemacht und welches Interview er wann mit welchem TV-Sender geführt hatte, und vor allem, was am Tag des Unfalls passiert war.
Auf seine Nachfragen hatte Haakon, der Teamleader, es ihm immer und immer wieder erklärt: Es geschah auf der Königsetappe, die in den Pyrenäen stattgefunden hatte. Zuerst war es heiß gewesen, brütend heiß. Schwitzend hatten sich die Viking Spades in der Masse der Radsportler, dem Peloton, einen Anstieg nach dem anderen hinaufgequält. Morten und Ebbe, das in den Medien gefeierte Kletterer-Duo ihrer Mannschaft, hatte sich ans Ausreißen gemacht, um als erste den Gipfelpunkt einzunehmen. Doch dann hatte es plötzlich angefangen zu hageln. Aus dem Sommerwetter war in Minutenschnelle ein finsterer Hagelsturm geworden. Die Straße war zu einem Bach geworden. Regentropfen auf den Schutzbrillen hatten ihnen die Sicht versperrt und waren in die dünnen Trikotjacken und Radlerhosen gekrochen. Hagelkörner wie Nadelstiche hatten selbst den noch so hartgesottenen Zuschauern die Lust an der Etappe genommen und sogar die Kameramänner auf ihren Motorrädern und Begleitfahrzeugen hatten einen Gesichtsausdruck gemacht, als hätten sie lieber ein langweiliges Billardturnier gefilmt als klatschnasse Männer in engen Sportklamotten. Und dann … Dann war alles ins Rutschen geraten. Bremsen hatten gequietscht. Das erste Rennrad war in eine gefährliche Seitenlage geschlittert. Der Hintermann hatte ruckartig gebremst, war aber ebenfalls ins Schlingern gekommen. Dann hatte es laut gekracht. Mann und Rad waren durch die Luft geflogen und eine unaufhaltsame Kettenreaktion hatte begonnen. Es war der Weltuntergang auf Fahrrädern. Wer Glück hatte, konnte noch nach links ausweichen, wer Pech hatte, rauschte beim Ausweichen mit einem weiteren Radfahrer zusammen. Und Olav, der sich während des gesamten Hagelsturms ganz klein auf dem Rennrad gemacht hatte, war mit einem Mal in hohem Bogen über seinen Lenker gestürzt.
Zumindest sagte Haakon das so, während Olav sich nur verwundert durch das brünette Haar fahren und die Stirn kräuseln konnte, in der Hoffnung, dass dadurch seinem Gedächtnis wieder auf die Sprünge geholfen wurde.
Doch nichts regte sich. Die Fotos in den Sport-Magazinen blieben für ihn ohne Sinn und Zusammenhang und wann immer man ihn im Fernsehen danach fragte, konnte er nur die vorgefertigte Antwort geben, zu der ihm der Pressesprecher des Teams geraten hatte: „Der Wetterumschwung hat uns alle überrascht und mein Unfall war wirklich tragisch. Aber zum Glück habe ich mich wieder vollständig erholt und werde für die Viking Spades weiterhin mein Bestes geben!“
Wenn man doch nur alles so leicht loswerden könnte, wie neugierige Reporter! Nagende Gedanken zum Beispiel. Immer wiederkehrende Bilder, die ihn verfolgten. Seltsame Gefühle, die Olav des Nachts den Schlaf raubten.
Etwas in ihm sprach zu ihm: „Du hast etwas Wichtiges vergessen! Etwas sehr Wichtiges! Du hast mich vergessen!“
Darauf tauchte immer wieder ein Bild in seinem Kopf auf: ein Hintern. Ein wohlgeformtes Gesäß, welches sich aus dem Sattel erhob und mit atemberaubender Geschwindigkeit davontänzelte. Olav wusste, dass er nicht nur einmal, sondern viele Male diesem Hinterteil hinterhergejagt war. Es hatte sich wie ein Stempel in seinem Inneren eingebrannt.
Jedes Mal, wenn er in der Reha-Klinik wieder nur seine linke Hand benutzen konnte, war dieses Bild wieder da.
Wie sollte ein Olav Olsen das nur beschreiben, wenn man ihn danach fragte? „Liebe Talkshow-Zuschauer. Ich glaube, an der letzten Tour de France war doch nicht alles so schlecht. Ich denke nämlich, dass ich mich verliebt habe. Irgendwie…“
Genau, Olav Olsen war nichts weiter als ein triebgesteuerter Profi-Radsportler, der sich in einen seiner Kollegen verliebt hatte.
Genau das wollten die Medien doch hören!
Mit Sicherheit nicht!
Die Medien wollten Ergebnisse. Etappensiege. Nette Geschichten von Zimtschnecken und den Bauern im Dorf, die sich extra zum Public-Viewing trafen, wann immer sich Olav, ihr Held, in den Sattel schwang.
Olav hatte erbittert gekämpft und geackert. Monatelang alles getan, um körperlich nicht abzubauen, während sein rechter Arm heilen musste. Und das Einzige, was ihn davon abgehalten hatte, in der langen Zeit nicht wahnsinnig zu werden, war er: dieser eine Hintern.
Dieser eine, der nur einer von Vieren sein konnte. Vier Sprinter, die wie er verbissen um jeden Zentimeter gekämpft hatten.
Am Ende stand die Schlagzeile „Olav, unser Zimtschnecken-Held!“ auf Seite Eins aller Tageszeitungen und zeigten ihn im Freudentaumel, während die vier anderen Sprinter die Köpfe zu Tode erschöpft gesenkt hatten.
Er wusste, wie sie hießen und wie er sie hätte erreichen können. Aber mal ehrlich, welcher Mann würde auf ein „Hallo, darf ich mal deinen Arsch sehen, damit ich weiß, ob ich auf dich stehe?“ denn mit „Ja, klar! Geht es so oder soll ich dabei Rad fahren?“ antworten.
…
Mit Sicherheit niemand.
Olav musste schmunzeln und zupfte am Klettverschluss seiner Handschuhe. Die ganze Geschichte war einfach zu absurd. Doch es war egal, was die anderen dachten. Ihm jedenfalls hatten die Vier dabei geholfen, wieder fit zu werden.
Nobuhiko Honda von den Japanese Jokers.
Peng Li von den Diamond Dragons.
Kim Lutz-Park von den Helvetia Hearts.
Punyaa Boonmee von den ShamroClovers.
Allesamt Profi-Radfahrer wie er, die unterschiedlicher nicht sein konnten, aber eine Gemeinsamkeit hatten: sie waren Asiaten.
Welche Sprache bevorzugten sie? Konnte er Englisch mit ihnen reden? Und wie war das mit der Durchschnittsgröße? Waren Europäer wirklich größer?
Wie gerne wollte er es herausfinden, aber diese Frage zu stellen war nochmal um Längen, wirklich um Längen, absurder als die nach dem Hintern!
Also blieb ihm nur seine linke Hand und ein Kopf voller Fragen…
PLATSCH!
Ein Schwall Wasser traf Olav so hart wie der Hagelsturm in den Pyrenäen.
„Hey!“
Plötzlich war er wieder wach und in der Realität angekommen.
Morten, der einen gepflegten Vollbart trug und unter buschigen schwarzbraunen Augenbrauen kindlich aufgeweckt dreinblickte, grinste breit und drückte ein weiteres Mal auf die Sportflasche. „Chef, ich glaube Olav hat schon wieder unkeusche Gedanken!“
Während Haakon, seines Zeichens norwegischer Hüne und Anführer der Viking Spades, sich räusperte, sprang Olav auf und schnappte nach der Wasserflasche. „Jetzt gib schon her!“
Morten schnalzte mit der Zunge und versteckte sich hinter seiner Frau, die sich gerade die ölverschmierten Hände mit einem alten Putzlappen abwischte. „Hilfe, Märtha, Olav bedroht mich schon wieder!“ Er lachte schallend.Haakon räusperte sich ein zweites Mal, diesmal laut genug, um die volle Aufmerksamkeit des Teams zu erhalten. Olav griff nach einem Handtuch und rubbelte sich das störrische braune Haar trocken.
„Ihr wisst, dass ich nicht so der Fan von großen Ansprachen bin. Deswegen lasst es mich so sagen.“ Er verschränkte die kräftigen Unterarme, nahm einen tiefen Atemzug und sah den versammelten Viking Spades tief in die Augen. „Die Kacke ist so richtig am Dampfen!“
Selbst Morten verging angesichts Haakons autoritärer Ausstrahlung das Lachen und er senkte betrübt die Flasche. Er wusste ganz genau, was der blonde Wikinger ihnen jetzt sagen würde.
„Unser Team ist finanziell gesehen echt am Ende. Ihr wisst, ich will euch das nicht sagen, aber wenn wir bei dieser Tour de France nicht ein respektables Ergebnis einfahren, dann war’s das.“ Er schlug mit der Faust auf die Handfläche. „Aus, Ende, Finito! Wir können alle nach Hause fahren und uns einen neuen Job als Straßenkehrer oder Dschungelcamp-Insasse suchen, wenn sich hier nicht endlich was tut.“
Olav senkte den Blick und vergrub seine Finger tief im Handtuch. Er hatte das Gefühl, dass er an allem schuld war. Er, Olav Olsen, Sprint-Ass der Viking Spades, der einfach mal monatelang aussetzen musste, weil er verletzt war.
Haakon knurrte gereizt. „Nein, Olav, dich trifft keine Schuld!“ Sein Blick aus wasserblauen Augen schien ihn zu durchbohren. „Du hast deine Auszeit gebraucht, also hör auf, dir einen Kopf zu machen, Junge!“
Er klopfte Olav kollegial auf die Schulter. „Die meisten Sponsoren sind jetzt zwar weg, aber deswegen sind wir trotzdem noch ein ausgezeichnetes Team, das einen UCI-Kontinentallisten-Platz hat. Und den geben wir nicht so leicht wieder her!“
Olav blickte verunsichert in die Runde. Doch anstatt in frustrierte Gesichter zu blicken, lächelten sie ihn alle an. Morten, dessen Frau Märtha als Technikerin mitgekommen war, Ebbe, ein begnadeter Kletterer, der auch beim Trinken die höchsten Rekorde aufstellen konnte, der finnische Frischling Matti mit der sympathischen Zahnlücke, sowie all die anderen wichtigen und unwichtigen Helfer, die in den letzten Monaten noch nicht das Handtuch geworfen hatten.
„Ich, äh…“ Mist, jetzt fing er schon wieder an rot zu werden und zu stottern! Für einen Sprinter war Olav eigentlich viel zu unscheinbar, auch wenn ihn die Medien zu einem Helden machten.
Er schluckte kurz, dann sprach er weiter. „Ich werde eure Erwartungen nicht enttäuschen!“ Sein Blick wurde fest und zuversichtlich. „Ich habe mich solange auf die Tour de France vorbereitet, dass ich diesmal garantiert den Eiffelturm sehen werde!“
Schallendes Gelächter brach aus.
Olavs Ohren verfärbten sich rot.
Morten sprang auf und knuffte ihn kollegial. „Unser Olav! Immer viel zu bescheiden! Du wirst nicht nur den Eiffelturm sehen, sondern dieses Jahr als Erster über die Ziellinie an der Champs-Élysées brettern!“
Ebbe, den Olav schon aus dem Jugend-Sport-Förderzentrum kannte, hakte sich auf der anderen Seite ein. „Wir ziehen dich über jeden noch so hohen Berg und dann schnappst du dir das Gelbe Trikot!“ Olav wurde hin und her gerüttelt. Er wollte am liebsten heulen. Vor Freude. „Warum habt ihr nur alle so großes Vertrauen in mich?“
Haakon hob den Daumen: „Weil du der Zimtschnecken-Held bist! Und jetzt raus hier, gleich fängt die Teamvorstellung des Tages auf der großen Tribüne an!“
Zimtschnecken-Held? Bodenständig, süß, braun und klebrig? Wie auch immer.
Olav fuhr sich noch einmal kurz durch die Haare und schmiss anschließend das Handtuch auf einen der vorderen Sitze, bevor er den Teambus verließ. Beim Herausgehen fiel sein Blick noch einmal auf das Magazin auf der Ablage, welches die letzten Monate seine Hoffnung und Rettung zugleich war: Olav und die vier anderen Sprinter. Nicht mehr lange und er würde sie alle wiedersehen.
Und wer wusste das schon…
Vielleicht hielt die diesjährige Tour de France die eine oder andere Überraschung für ihn parat – nicht nur sportlich.